Ähnlich wie Goethe schildere Karahasan Grenzerfahrungen, sagte der Schriftsteller Ingo Schulze in seiner Laudatio. Doch während Goethe etwa in seiner Beschreibung der Kanonade von Valmy den Beginn einer Epoche geschildert habe, bedeutete die Erfahrung der Belagerung von Sarajevo für Karahasan «das Ende der Aufklärung», eine Entwicklung weg von Demokratie.
Schulze zitierte aus Werken des bosnischen Schriftstellers, der im Alter von 39 Jahren die Belagerung Sarajevos erlebt hatte und etwa beschrieb, wie die Menschen nach nächtlichen Raketenangriffen «weiss vor Angst und Schlaflosigkeit» aus den Kellern in ihre Wohnungen zurückkehrten. Seine Figuren seien «so lebendig und widersprüchlich wie wir selbst».
In seiner Dankesrede sprach Karahasan über den Einfluss Goethes auf sein Denken und Schreiben, vor allem mit Blick auf Individualität. «Alles Wesentliche, was ich über das Leben weiss, habe ich durch Lesen gelernt», sagte der Schriftsteller. Von Goethe habe er das gelernt, was er «organisches Erzählen» nenne. «Wenn ich es schaffe, so zu erzählen, braucht der Text meine Stimme nur bis zu einem bestimmten Punkt.» Dann verselbstständigten sich die Figuren, sagte er über den Prozess des Lesens.
Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), der Karahasan den Preis überreichte, sagte, das Werk des Schriftstellers stehe für die «Verbindung zwischen Ost und West», und zwar sprachlich und emotional.
Das Werk von Karahasan umfasst Romane, Dramen, Essays und theoretische Schriften. Die Auszeichnung sei ein Bekenntnis zu Toleranz und Verständigung, hiess es in der Begründung der Preisverleihung an den Schriftsteller. Es sei ein Werk, das sich der Vermittlung zwischen Ost und West, zwischen Islam und Christentum verschrieben habe.