Mein Vater fand immer, RTL 2 zeige eh nur «Seich». Trotzdem haben wir jeden Tag um 19 Uhr eingeschaltet, um Son Goku, Bulma, Krillin oder den Herrn der Schildkröten bei der Suche nach den Dragonballs zu begleiten.
Anime und Manga waren der Hype der damaligen Zeit, der Top-Export aus dem Osten. Neben Pokémon definierte damals vor allem Dragonball und später Dragonball Z den Pausenhof-Talk.
Wird Prinz Pilaf sich die Dragonballs schnappen können? Schafft es Son Goku, die Red Ribbon Army, Obersteufel Piccolo und später die Saiyajins zu schlagen?
Ein Kame-Hame-Ha für die Ewigkeit
Nicht nur spekuliert haben wir über den weiteren Verlauf der Geschichte, den ewigen Wiederholungen des linearen Fernsehens ausgeliefert, wir haben sie gelebt. Vor allem den immer präsenten Kampfsport:
Beim Spielen mit Freunden habe ich unzählige Kame-Hame-Has aus Luft abgefeuert, der Energiestrahl, der zu Son Gokus Markenzeichen werden sollte. Andere haben sich grosszügig bei den Techniken der «Bösen» bedient, etwa dem Dodon-Pa (Energiestrahl der Kranich-Schule).
Verräter, so viel ist klar.
Der bisweilen derbe Humor der Serie blieb uns als Kinder verborgen – auch weil der etwas prüden Zensurstelle im deutschen Fernsehen vieles zum Opfer fiel. Nur beim Herrn der Schildkröten, meinem Spirit Animal, war die anzügliche Komponente immer klar: Der kriegt auch heute noch Nasenbluten, wenn er eine schöne Frau sieht.
Der liebe Onkel
Dragonball mit seinen wunderbar verrückten Figuren hat mich auch nach meiner Kindheit nicht ganz losgelassen. Mit späteren Mitbewohnern habe ich die Serie mehrfach gebinged und genossen, mir irgendwann alle Mangas gekauft. Immer ein Abstecher in die Kindheit, ein Wiedersehen mit Bekannten.
Neben dem Herrn der Schildkröten liebe ich vor allem die etwas trotteligen Nebencharaktere wie den Rinderteufel, Mr. Satan oder auch Uranai-Baba, die schrullige Wahrsagerin.
All das, die liebevoll entworfenen Figuren, die Rangeleien in der Kindheit, das Mitmachen beim Hände in die Höhe strecken für die Genkidama vor dem Röhrenfernseher, hat uns Akira Toriyama gegeben. Der geniale Schöpfer der Serie, wie viele von uns 1990ern selbst ein ewiges Kind, der uns wie ein lieber Onkel verstanden hat.
Denn auch wenn die Eltern sagten, das sei ein «Seich», hat er genau gewusst, was wir uns wünschten, man könnte sogar argumentieren, er hat es selbst bestimmt. Ganz nebenbei beeinflusste er noch die moderne Popkultur bis zum heutigen Tag, ebnete den Weg für andere grosse Anime- und Mangaerfolge wie One Piece oder Naruto.
Nun ist der Onkel tot. Akira Toriyama wurde nur 68 Jahre alt, er starb an einer Blutansammlung im Gehirn.
Es wird mal wieder Zeit
Dragonball ist nach heutigem Stand der zweiterfolgreichste Manga, der jemals erschienen ist. Vor einigen Jahren wurde er von One Piece vom ersten Platz abgelöst. Trotzdem haben zumindest die frühen Dragonball-Abenteuer ihren Platz in der Hall of Fame der Anime- und Mangawelt auf ewig sicher.
Denn Akira Toriyama hinterlässt eine Geschichte, die Millionen Menschen, genau wie ich, in ihr Herz geschlossen haben. Und er hinterlässt auch Trost. Denn bei Dragonball ist der Tod ein eigenartiges Konzept und nicht wirklich definitiv.
Schliesslich geht es gefühlt in der Hälfte der Geschichte darum, jemanden mit Hilfe der namensgebenden magischen Kugeln wieder lebendig zu machen, aus dem Jenseits zurückzuholen, das als separater Ort ebenfalls existiert.
Bei Herrn Toriyama geht das wenigstens auf Metaebene. Dragonball bleibt lebendig, wir müssen nur ab und zu wieder in die fantastische Welt eintauchen, die er uns gegeben hat.
Und wenn ich so auf meine Herr-der-Schildkröten-Swatch schaue,
stelle ich fest: Es ist bald Zeit für ein Wiedersehen.
Danke für alles, Akira Toriyama.