«Du, Andreas, ich muss nächste Woche in den überbetrieblichen Kurs», sagt der Lernende zum Chef. Solche Szenarien waren noch vor 20 Jahren unvorstellbar – heute sind sie schon fast die Regel.
Ist Siezen veraltet?
Wie eine Studie der AXA jetzt herausgefunden hat, empfinden viele Junge das Duzen im formellen Umfeld als unprofessionell, während ältere Menschen es unhöflich finden. Somit wird Duzen bei zunehmender Seriosität des Kontexts zwar von Jung und Alt eher abgelehnt, aber aus unterschiedlichen Gründen.
Ausserdem gibt es regionale Präferenzen: In der Deutschschweiz ist das Duzen viel beliebter als im Tessin oder der Romandie. Generell aber gilt die Siez-Kultur immer mehr als veraltet. Nur die wenigsten Personen über alle Altersgruppen hinweg empfinden das Duzen im Allgemeinen als aufdringlich oder unanständig.
Wann «Du» und wann «Sie» – das sagt der Knigge
Aber wann wird denn jetzt geduzt und wann gesiezt? Die Knigge-Expertin Katrin Künzle weiss die Antwort darauf: «In der Regel duzen wir jemanden, den wir kennen, und siezen jemanden, der uns fremd ist.» So weit, so gut – aber ganz so formell ist es heute nicht mehr, denn wir leben mittlerweile eher in einer Du-Kultur.
Es wird immer mehr geduzt und signalisiert einen unkomplizierten Umgang. Die Sie-Form ist formeller und drückt eine gewisse Distanz aus, gerade ältere Menschen schätzen sie daher: «Aber das ‹Du› hat sich einfach in vielen Situationen etabliert. Heute ist die Hemmschwelle tiefer als früher.»
Und wer bietet wem das «Du» an?
Gemäss Knigge gibt es zwei klare Regeln, wer wem das «Du» anbietet. Im privaten Bereich ist es die ältere Person, welche der jüngeren Person das «Du» anbietet. Im geschäftlichen Bereich ist es die ranghöhere Person, welche der rangniedrigeren Person das «Du» anbietet.
Das Dienstalter hat laut der Knigge-Expertin nichts damit zu tun. Auch sei es veraltet, dass die Dame dem Herrn das «Du» anbietet: «Das macht man längst nicht mehr: Wir sind nicht mehr in der Zeit der Ritter und Hofdamen.»
Es gibt aber Branchen, wo das «Sie» noch verbreiteter ist als in anderen, wie beispielsweise Banken, Versicherungen, Spitälern oder gehobene Restaurants. Auch wenn dort im Internen immer häufiger geduzt wird, bleibt es im Umgang mit Kunden meist noch beim «Sie».
«Wenn mir mein Bankberater, den ich zum ersten Mal sehe, einfach Hallo Katrin sagt, dann finde ich das auch sehr irritierend. Dort ist die Sie-Form einfach sachlicher und distanzierter. Das empfinden viele Leute als angenehmer», sagt Künzle. Und so geht es laut der Studie der AXA vielen Personen über alle Generationen hinweg.
«Hallo» oder «Grüezi»?
Ähnlich sieht es bei der Begrüssung aus, auch hier ist der Kontext entscheidend. Aber wie funktioniert stilvolles Grüssen und wer grüsst wen zuerst? Im beruflichen Umfeld gilt: Die rangniedrigere Person grüsst die ranghöhere Person zuerst. Im privaten Bereich grüsst die jüngere Person die ältere.
Wichtig ist auch – was laut der Expertin heute oft vergessen wird – dass die Person, welche den Raum betritt, zuerst grüsst. Ausserdem sollte man dem Gegenüber beim Grüssen in die Augen schauen: «Augenkontakt ist wie die Brücke zum Gegenüber und da braucht es einfach drei Sekunden, bis diese erschaffen ist.» Auch gehört ein Lächeln als stärkstes nonverbales Zeichen zu einer stilvollen Begrüssung dazu.
Gemäss Künzle ist gerade im geschäftlichen Bereich das Grüssen sehr wichtig: «Ein Gruss ist wie eine Wertschätzung und wenn ich jemanden nicht grüsse, dann entziehe ich dieser Person die Wertschätzung.» Die meisten Leute stören sich nämlich daran, wenn sie nicht gegrüsst werden.
Und was ist mit dem Händedruck?
Auch beim Händedruck gelten ähnliche Regeln. Die ranghöhere Person bietet im geschäftlichen Bereich der rangtieferen die Hand an, während im Privaten die ältere Person der jüngeren die Hand anbietet.
Wichtig beim Handschlag ist auch die Art und Weise. «Der perfekte Handschlag ist einmal gut drücken und loslassen. Kein toter Fisch oder übertriebenes Schütteln», sagt Künzli. Ausserdem sollte beim Händedruck auf die optimale Distanz von einem Meter zwischen den Personen geachtet werden.
(kop/lha)
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