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Werden wir ab 40 immer dümmer?

Hirn, was geht?

Werden wir ab 40 immer dümmer?

· Online seit 21.07.2024, 09:52 Uhr
Wenn wir älter werden, soll die Kreativität und Konzentrationsfähigkeit immer weiter abnehmen. Angeblich verändert sich mit Ende 30 das Gehirn. Das findet unsere Autorin erschreckend. Heisst das, dass wir mit Ende 30 also dümmer werden?
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Je älter ich werde, desto mehr Gedanken mache ich mir um meinen körperlichen und geistigen Verfall. Ich werde bald 40 und höre immer wieder in Bezug auf mein Alter, dass es ab sofort nur noch bergab gehen wird. Körperlich kann ich nachvollziehen, ich bin schneller erschöpfter als früher und brauche mehr und vor allem weitaus längere Erholungsphasen. Dazu gesellen sich immer mehr Falten um meine äusseren Augenwinkel wie auch den Mund und ich finde jeden Tag mindestens ein graues Haar mehr. So weit, so gut, damit komme ich irgendwie klar.

Aber vor dem geistigen Wenigerkönnen graut es mir enorm. Der Wirtschaftswissenschaftler Arthur Brooks von der Harvard-Universität ist der Meinung, dass mit Ende 30 die Wende kommt. Werde ich also im Hirn immer langsamer, am Ende sogar dümmer, frage ich mich. Was bedeutet das für mein Leben und meinen Job? Schliesslich bin ich dort auf kreative Ideen und schnelles Handeln angewiesen. Kurz vor meinem runden Geburtstag stellt sich also nicht nur die Frage, wen ich einlade und wie viel Wein ich trinken kann, sondern wie kann ich meinen geistigen Verfall aufhalten. Ist es überhaupt möglich?

Nimmt meine Hirnleistung tatsächlich mit Ende 30 ab?

«In der Forschung sieht man in dem Alter schon einen geringfügigen Rückgang in bestimmten kognitiven Leistungen», sagt Neurowissenschaftlerin Barbara Studer im Gespräch. «Allerdings tritt dieser Effekt bereits im Alter von 25 oder 30 Jahren ein und betrifft nur einzelne kognitive Fähigkeiten. Die Hirnleistungen, vor allem die kognitiven Fähigkeiten, nehmen immer mehr ab. Das ist biologisch erklärbar, da das Hirnvolumen in gewissen Bereichen von Jahr zu Jahr minim abnimmt.» Das sei vor allem beim Tempo spürbar. «Bis vor kurzem ging die Forschung davon aus, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit ab 30 Jahren abnimmt. Neueste Erkenntnisse zeigen aber, dass man erst mit 60 Jahren tatsächlich langsamer denkt. Vorher wird man nur bei Entscheidungen etwas vorsichtiger und in motorischen Reaktionen langsamer.» Zwar könne sich das Gehirn mit zunehmendem Alter nicht mehr so schnell an neue Bedingungen anpassen, bleibe aber veränderbar, bis wir sterben, betont Studer. 

Jung und schnell gegen alt und weise 

Wie schnell das Hirn abbaut, ist bei jedem Menschen verschieden und auch wo Einbussen entstehen. Bei mir sind es Namen. Konnte ich mir früher zu fast jedem Gesicht den Namen dazu merken, egal wie gut und wie lange ich die Person kannte, so ist es heute oft ein ungemein peinliches Raten. «Es ist wichtig zu wissen, dass das Hirn gleichzeitig auch viel aufgebaut hat. Wir wissen von Jahr zu Jahr viel mehr», erklärt mir Studer. Das Lernen wird somit viel komplexer. «Es ist also normal, dass man mal ein Wort oder einen Namen vergisst. Je älter wir werden, desto grösser ist unser Wortschatz und desto mehr Menschen haben wir schon kennengelernt.»

Kurz bin ich erleichtert, denn natürlich kenne ich heute mehr Menschen als noch mit 16 Jahren, zumindest wurden mir in den letzten 24 Jahren mehr Personen mit Namen vorgestellt. Logisch kann ich mir nicht mehr alle merken. «Wir erweitern täglich die Verknüpfungen in unserem Hirn, indem wir lernen und Erfahrungen sammeln», erklärt mir die Expertin. «Die Verknüpfungen im Gehirn um sich Sachen zu merken, werden also immer vielschichtiger.» Zusammengefasst heisst das, wir verlieren an Schnelligkeit, Aufgaben und Probleme rasch zu lösen, gewinnen aber an Weisheit und Wissen, auf das wir stets zurückgreifen können.

In den letzten Jahren bemerke ich, dass ich mich viel schneller ablenken lasse. Habe ich während des Studiums ausschliesslich mit Musik auf den Ohren lernen können, brauche ich heute absolute Ruhe, um mich konzentrieren zu können. Das sei eine spannende Beobachtung, sagt die Forscherin. «Man reagiert mit den Jahren im Allgemeinen viel sensibler auf Geräusche, weil sich die Hörqualität etwas verringert.» Und damit bräuchten wir mehr Kapazität im Hirn, um Musik und Geräusche zu verarbeiten. Die Ressourcen im Gehirn seien endlich. «Sobald wir Musik hören und gleichzeitig etwas mental verarbeiten, oder etwas lesen, Informationen aufnehmen oder mehr Druck im Alltag haben, dann ist die Musik in dem Fall etwas ‹too much› und stört.» Das Gehirn ist hier dann einfach überfordert.

In welchem Alter bin ich am kreativsten?

Diese Frage stelle ich mir tatsächlich in den letzten Jahren immer häufiger. Was ist, wenn ich bereits mein komplettes Kreativ-Pulver verschossen habe und nun nichts mehr kommt. Schon gar nicht irgendeine zündende und brillante Idee für ein Buch oder ich meine musikalische Genialität entdecke. «In Tests haben wir festgestellt, dass die Kreativität zwischen 20 und 30 Jahren am höchsten ist, anschliessend nimmt sie geringfügig ab.» Ich höre mich derweil innerlich zusammenbrechen. «Das hängt aber damit zusammen, dass wir sie meist weniger kultivieren und es uns schwerer fällt, die Perspektive zu wechseln, weil wir mehr Expertise angesammelt haben. Monotonie, Routine und Fachwissen sind oft Gegner der Kreativität.»

Sie empfiehlt mir, neue Sichtweisen einzuüben, indem ich Neues ausprobiere, Dinge immer wieder neu betrachte und mir erlaube, auch mal ausserhalb des Rahmens zu denken. So könne ich mir eine Kreativität bewahren und sogar entwickeln.

Puh, okay, ein Lichtblick an meinem dunklen 40-Jahre-Firmament. Es gibt durchaus Forscher und Künstlerinnen, die eine kreative Hochphase im mittleren bis späteren Alter gehabt hätten. «Man spricht in dem Fall von einer reifen Kreativität. Diese vereint tiefgründiges Fachwissen mit innovativen Lösungsansätzen», so Studer und zählt Namen wie Michelangelo, den berühmten Geigenbauer Antonio Stradivari oder den Komponisten Giuseppe Verdi auf. Und schon ist mein Himmel wieder dunkel.

Wie kann ich also mein Hirnaltern stoppen?

Nun also zur Frage aller Fragen: Kann ich es verhindern, dass mein Gehirn altert? Leider nein, sagt Studer. Aber wir haben viele Möglichkeiten, es zu schützen und zu stärken. Ich könne unter anderem mit einem gesunden Lebensstil Einfluss darauf nehmen, dass mein Gehirn langsamer altert und das Tempo, die Leistungsfähigkeit und das Volumen aktiv trainieren, rät sie mir weiter. Routine hingegen schadet. «Ein gefordertes Gehirn ist ein glückliches Gehirn», fügt die Expertin noch an. Das heisst, regelmässig neue Aufgaben übernehmen, etwas dazulernen und immer mal wieder aus der eigenen Komfortzone heraus gehen. «Wir brauchen diese kontinuierlichen Herausforderungen auf der geistigen Ebenen.» Dabei könne auch ein dichtes soziales Netzwerk helfen. «Wir sind psychosoziale Wesen und benötigen täglich Interaktionen mit Menschen.» Einsamkeit trage zur Schrumpfung des Hirns bei.

Aber auch das Hirn will viel Bewegung, nicht nur der Körper. «Studien zeigen, dass die Gehirnaktivierung besser wird und sich Hirnstrukturen aufbauen, wenn sich der Mensch mehr bewegt.» Dazu kommt eine gesunde und ausgewogene Ernährung: «Zu viel Junk-Food und zu viel Zucker sind ein absolutes No-Go, weil es die Kommunikation der Nervenzellen im Hirn bremst. Weitere Hirnbremser sind zu wenig gesunde Fette und zu wenig Schlaf», erklärt sie weiter.

Heisst das also, wenn ich all das beachte, habe ich also noch viele weitere Jahre die Möglichkeit auf geistige Höchstflüge? «Ja, das Gehirn bleibt lern- und leistungsfähig und mit dem Alter kommen neue Kompetenzen hinzu», sagt Studer und lacht. Zumindest falle ich nicht direkt an meinem 40. Geburtstag in ein geistiges Loch. Das ist doch schon mal was.

veröffentlicht: 21. Juli 2024 09:52
aktualisiert: 21. Juli 2024 09:52
Quelle: ArgoviaToday

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