US-Schauspieler Alec Baldwin hat bei einem Filmdreh mit einer Requisitenwaffe geschossen und dabei zwei Menschen getroffen (wir berichteten). Die Kamerafrau starb später im Spital, der Regisseur wurde verletzt. Bilder auf Instagram und Twitter zeigen Alec Baldwin sichtlich geschockt nach dem Unfall.
Sheriff’s office: Star’s ‘prop firearm’ kills one, injures another https://t.co/wuFa9DMRBI
— Santa Fe New Mexican (@thenewmexican) October 22, 2021
Für viele stellt sich nun die Frage: Wieso kommen solche Waffen überhaupt bei Dreharbeiten zum Einsatz? Filmfachmann Philipp Portmann von Portmann Media erklärt: «Die Schreckschusspistolen sind sehr authentisch. Sie liegen wie eine echte Waffe in der Hand, sehen echt aus und sind gleich schwer, wie normale Waffen. Die Schauspieler verhalten sich während dem Dreh, als würden sie eine echte Waffe halten.»
Der Umgang mit Waffen ist für viele Schauspieler gewissermassen Alltag. «Alec Baldwin hat schon in vielen Filmen gespielt, in denen massiv herumgeschossen wurde, beispielsweise ‹The Departed› oder ‹Mission Impossible›», erklärt Portmann. «Dafür werden die Schauspieler auch trainiert, das ist nichts Aussergewöhnliches.»
Die Schreckschusspistolen vereinfachen die Post-Production. «Bei der Schreckschusswaffe sieht man eine kleine Explosion wie bei einer echten Waffe, die abgefeuert wird. In der Nachbearbeitung ist das eine grosse Hilfe, weil man die Explosion der Patrone schon auf Video hat und sie nicht nachträglich einfügen muss. Gleichzeitig bewegt sich der Schauspieler richtig und reagiert auf den Schuss, es wirkt authentischer.»
So läuft es normalerweise mit Waffen am Set
Echte Waffen werden für den Film präpariert – es sind sogenannte Probs oder Requisitenwaffen. «Sie sind auch als solche markiert und es gibt bestimmte Personen, die dafür zuständig sind: ein Waffenexperte, ein Sicherheitsexperte sowie ein Stunt-Coordinator», erklärt Portmann.
Marcel Stucki ist Stunt-Coordinator aus Zollikofen, der aktuell in dieser Funktion am Film «Mad Heidi» mitarbeitet. Er erklärt, wie der Umgang mit Waffen am Set aussieht: «Meistens ist eine Person pro Filmwaffe verantwortlich.» Er führt aus: «Das heisst: Jemand übergibt dem Schauspieler die Waffe für die Szene. Und sobald die Szene gedreht ist, nimmt sie die Person zurück und bereitet sie für die nächste Szene vor.»
Am Set gibt es bestimmte Regeln. «Es darf niemand direkt vor einer Waffe stehen, die abgefeuert wird. Und die Crew muss einen bestimmten Abstand zur Waffe halten.» Denn selbst Platzpatronen können gefährlich sein.
Mehrere Vorfälle in der Vergangenheit – auch in der Schweiz
1984 kam es durch eine Schreckschusspistole zu einem tragischen Unfall: In der Fernsehserie «Mode, Models und Intrigen» (Cover Up) hielt sich der Schauspieler Jon-Erik Hexom die Waffe an die Schläfe. Dabei löste sich ein Schuss, er wurde mit einer fatalen Hirnblutung ins Krankenhaus eingeliefert und später für hirntot erklärt.
Der wohl bekannteste Unfall geschah 1993. Damals wurde Brandon Lee, der Sohn von Kampfsport-Legende Bruce Lee, beim Filmdreh von «The Crow» von einem Projektil getroffen, das wohl in der Waffe feststeckte. Er wurde in den Bauch getroffen und starb. Nach der Baldwin-Tragödie äussert sich die Familie von Brandon Lee auf Twitter:
Our hearts go out to the family of Halyna Hutchins and to Joel Souza and all involved in the incident on “Rust”. No one should ever be killed by a gun on a film set. Period. 💔
— Brandon Bruce Lee (@brandonblee) October 22, 2021
Auch in der Schweiz gab es einen Zwischenfall mit Waffen an einem Film-Set: Im Januar 2020 wurde in der Boomerang Bar in Rapperswil-Jona ein Film gedreht. Dort kam es zur Schussabgabe durch eine Schreckschusswaffe. Dabei wurden drei Statisten verletzt und mussten ins Spital gebracht werden. Der Vorfall wurde von der Kantonspolizei St. Gallen untersucht.
Platzpatronen werden unterschätzt
Aber wie kann man jemanden mit einer Schreckschusswaffe tödlich verletzen? Florian Schneider, Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen, erklärt: «Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man durch Schreckschusswaffen verletzt werden kann. Etwa wenn die Patrone fehlerhaft ist oder sich Rückstände Lauf verfangen und die Teile dann rausfliegen.» Dazu kommt der Gasdruck, den die Waffe aufbaut. «Wenn man die Waffe nahe an den Körper hält, kann der Gasdruck zu Verletzungen führen.»
Warum und wie genau es zum Unfall in den USA kam, ist noch nicht geklärt – gemäss dem Filmportal «IndieWire» war in Baldwins Waffe eine echte Patrone geladen. Das habe die Gewerkschaft IATSE Local 44, welche für die Requisiteure (die Spezialisten, die beispielsweise die Waffen für den Dreh vorbereiten) zuständig ist, am Freitag in einem Mail an ihre Mitglieder geschrieben, so eine Meldung auf dem Portal. Die genauen Hintergründe werden derzeit von der Polizei New Mexicos ermittelt.
Quelle: Aufnahmen vom 22.10.2021/ CH Media Video Unit / Melissa Schumacher
Alec Baldwin meldete sich derweil erstmals seit dem tragischen Unglück zu Wort. «Mein Herz ist gebrochen», schrieb der Schauspieler auf Twitter. Er sei in Kontakt mit dem Ehemann der verstorbenen Halyna Hutchins. Es gebe keine Worte, um den Schock und die Traurigkeit zu beschreiben, welche der tragische Unfall in ihm ausgelöst habe. Weiter schrieb der Schauspieler, dass er mit der Polizei kooperieren werde, um die genauen Umstände des Unfalls aufzuklären.
1-
— AlecBaldwin(HABF) (@AlecBaldwin) October 22, 2021
There are no words to convey my shock and sadness regarding the tragic accident that took the life of Halyna Hutchins, a wife, mother and deeply admired colleague of ours. I'm fully cooperating with the police investigation to address how this tragedy occurred and
2- I am in touch with her husband, offering my support to him and his family. My heart is broken for her husband, their son, and all who knew and loved Halyna.
— AlecBaldwin(HABF) (@AlecBaldwin) October 22, 2021