Basketball-Legende Steve Kerr, Trainer der Golden State Warriors, will nicht über das bevorstehende Playoff-Spiel gegen die Mavericks reden. «90 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wollen strengere Waffengesetze», sagt er wutentbrannt auf einer Pressekonferenz am Dienstagabend. «Doch fünfzig Senatoren in Washington verhindern das. Sie interessiert nur eines: Macht.» Kerrs Rede geht innert Minuten viral.
Einer dieser fünfzig Senatoren ist Chris Murphy, ein Demokrat aus Connecticut – jener Bundesstaat, in dem bis Dienstagmittag das letzte «School shooting» in den USA mit derart vielen Opfern stattfand, im Dezember 2012. Murphy hatte damals von Angehörigen und Lehrpersonen aus erster Hand mitbekommen, was ein solches Massaker auslösen und zerstören kann.
«Wann bieten wir der Lobby die Stirn?»
«What are we doing?», fragt er nun seine Senatskollegen, knapp zehn Jahre später, den Tränen nahe, weil er weiss, dass seither nicht viel gegangen ist. «Ihr alle, ihr steckt so viel Zeit und Geld in eure Wahl als Senatoren, nur, um dann nichts zu tun.» Er spricht die Republikaner an – es sind überwiegend sie, die sich vehement gegen striktere Waffengesetze sträuben. «Wir mögen viele Differenzen haben. Doch es muss einen gemeinsamen Nenner geben.»
Murphys Rede geht innert Minuten viral. Er genauso wie Kerr sprechen Millionen von Amerikanern aus der Seele, die sich ebenfalls fragen, warum bis heute nicht mehr gegen Waffengewalt getan wird. Sogar Präsident Biden stellte am Dienstagabend die rhetorische Frage, wann man der Waffenlobby denn endlich die Stirn biete. Und damit wäre die Antwort, warum nicht mehr getan wird oder werden kann, auch schon gefunden.
Sehr starke, emotionale Rede von Senator Chris Murphy als Reaktion auf das grauenhafte Massaker an einer Volksschule in Texas. Ein Schütze hat dort 14 Kinder und eine Lehrperson getötet. https://t.co/02QDnjaK5y
— Christophe Kohl (@kohlchr) May 24, 2022
Senatoren kassieren Millionenbeträge
Die Waffenindustrie erzielt praktisch jedes Jahr Rekordumsätze. Vor allem seit Ausbruch der Coronakrise und im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste nach George Floyds Tod im Sommer 2020 sind die Waffenkäufe in den USA explodiert. So ist von einem wirtschaftlichen Standpunkt gesehen nachvollziehbar, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tut, um härtere Waffengesetze zu bekämpfen.
Da kommt der Waffenindustrie natürlich entgegen, dass wichtige Vertreter in den höchsten politischen Kreisen mitmischen. Um ihren Einfluss im Parlament zu sichern, betreibt sie kräftig Lobbyismus. Die Non-Profit-Organisation «Brady» rechnet vor, dass gewisse Senatoren während ihrer Amtszeiten bis zu über 13 Millionen Dollar von der National Rifle Association (NRA), dem Dachverband der Waffenhersteller, erhalten haben. Auf ihrer im Jahre 2019 veröffentlichten Liste sind die Top 15 der bezahlten Senatoren allesamt Republikaner.
Unabhängige wären Zünglein an der Waage
Die Republikaner sind es denn auch, welche den Senat, eine der zwei Kammern des US-amerikanischen Parlaments, blockieren. Seit 2019 wird die sogenannte «HR8» behandelt, eine Gesetzesvorlage, die genauere Background-Checks bei Waffenkäufen vorsieht. Doch in diesen drei Jahren hat sich nur wenig getan, während das Repräsentantenhaus, die andere Kammer, «HR8» gar schon verabschiedet hat.
Damit ein Gesetz verabschiedet wird, braucht es im Senat eine einfache Mehrheit. Aktuell ist er mit 48 Demokraten, 50 Republikanern und zwei Unabhängigen besetzt. Obwohl mit Vizepräsidentin Kamala Harris eine Demokratin im Falle eines Unentschiedens das letzte Wort hätte und die zwei Unabhängigen theoretisch Ja stimmen können, wird augenscheinlich, wie schwer es Waffengesetze im Senat haben.
Das «Second Amendment» ist unantastbar
Und selbst im Falle eines unerwarteten Durchbruchs würde die Gegensteuer aus republikanischen und konservativen Kreisen nicht lange auf sich warten. Die Waffenfreunde berufen sich dabei stets auf das «Second Amendment», den zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung, der das Recht auf Waffenbesitz ermöglicht. Die Verfassung stammt aus dem Jahre 1791 – zu jener Zeit konnte man nicht ahnen, dass eines Tages automatische Schusswaffen existieren würden.
Dennoch ist das «Second Amendment» tief im patriotischen Gedankengut verankert. Eine dringend nötige, ans 21. Jahrhundert angepasste Überarbeitung dieses Artikels käme für Millionen von Amerikanern einer Beschneidung ihrer persönlichen Freiheit gleich. Schon fast aus Trotz kaufen sie weiterhin Waffen, um das Ausüben ihrer Rechte zu demonstrieren.
Der Gouverneur wird sich nicht widersprechen
Dies wiederum spült Millionen von Dollar in die Kassen der Waffenfirmen und folglich in die Portemonnaies der Politiker. Es ist wahrlich ein Teufelskreis, befeuert von ganz oben: Der texanische Gouverneur Greg Abbott, der in Bezug auf das Massaker in Uvalde eine vollumfängliche Ermittlung versprach, hatte noch letztes Jahr ein Gesetz verabschiedet, das in Texas das Tragen von Waffen im öffentlichen Raum ohne eine Bewilligung gestattet.
I'm EMBARRASSED: Texas #2 in nation for new gun purchases, behind CALIFORNIA. Let's pick up the pace Texans. @NRA https://t.co/Ry2GInbS1g
— Greg Abbott (@GregAbbott_TX) October 28, 2015
Abbott ist Republikaner, Christ und ein Waffennarr, wie obiger Tweet aus dem Jahr 2015 belegt. Vielleicht hat nun aber auch er realisiert, dass es viel mehr braucht als bloss Ermittlungen, um der Waffenproblematik Herr zu werden. Dass er nun mit gutem Beispiel vorangeht, ist aber zu bezweifeln. «Second Amendment», NRA-Gelder – in den USA ist die Verlockung gross, wegzusehen.