Ostschweiz
Graubünden

«Solarexpress» sorgt für Verunsicherung in Graubünden

Photovoltaik in den Alpen

«Solarexpress» sorgt für Verunsicherung in Graubünden

27.01.2023, 07:57 Uhr
· Online seit 27.01.2023, 05:48 Uhr
Ein neues Solarförderprogramm des Bundes verärgert Bündner Naturschützer und den Kanton. Die Initiative hat zum Ziel, Photovoltaikanlagen im Hochgebirge zu fördern. Im Bergkanton Graubünden verursacht sie bisher aber vor allem Fragezeichen und Kopfschütteln.
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Der Express scheint zu schnell losgefahren zu sein, der Kanton Graubünden hat noch viele ungeklärte Fragen. Dies schreibt er diese Woche in einer Mitteilung mit Verweis auf das jüngsten Solar-Förderprogramm des Bundes.

Unklar, welche Kriterien gelten

«Dabei geht es vor allem darum, welche Kriterien für die Bewilligungen gelten, wenn jemand eine Anlage bauen will», erklärt Thomas Schmid, Leiter des Bündner Amts für Energie und Verkehr. «Das sind absolut entscheidende Fragen und eigentlich wäre es am Bund, diese zu klären. Wir glauben aber nicht, dass dies passiert.» Daher hat der Kanton nun eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, um das Versäumnis nachzuholen.

Im Herbst hat der Bund den «Solarexpress» gestartet, ein Förderprogramm mit dem Ziel, die Kantone, Gemeinden und private Körperschaften zu motivieren, in hochalpinem Gebirge Photovoltaikkraftwerke zu bauen. Bis zu 60 Prozent der Investitionskosten will der Bund mit staatlichen Subventionen übernehmen. Das Damoklesschwert der drohenden Strommangellage über sich hängend hatte das Parlament das Programm im Eiltempo durchgewinkt und in die Vernehmlassung geschickt.

Grosse Frage: Wo neue Kraftwerke bauen? 

Die Initiative sei ja grundsätzlich sinnvoll, sagt Thomas Schmid vom Bündner Amt für Energie und Verkehr. Dies grosse Frage sei nur: Wo sollen die Kraftwerke gebaut werden? Die Realisierung sei schwierig. «Die Frage ist, wie bringt man das Material den Berg rauf, wo müssen Leitungen und Strassen gebaut werden und so weiter.»

Interessant seien daher Gebiete, wo bereits Infrastruktur vorhanden sei, Skigebiete oder Staudämme etwa. Tatsächlich existiert bei der Albigna Staumauer bei Bergell bereits eine hochalpine Solaranlage – die erste der Schweiz, wie es bei der Betreiberin, den Elektrizitätswerken von Zürich, heisst. Über 1200 Photovoltaik-Panels liefern seit September 2020 jährlich 500 Megawattstunden Strom.

«Anlagen belasten Natur und bedrohen Biodiversität»

Dass bereits bebaute Flächen und Infrastruktur genutzt werden für neue Solarkraftwerke, das ist für Pro Natura Graubünden Bedingung. «Aus Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes sind klar Anlagen auf bestehender Infrastruktur in bereits stark vorbelasteten Gebieten zu favorisieren», sagt Armando Lenz, Geschäftsführer von Pro Natura Graubünden. Grundsätzlich kann er sich nicht wirklich mit dem Programm anfreunden.

Lieber sähe es Pro Natura, dass weitere Gebiete im Flachland, etwa auf Parkplätzen, in Industriegebieten, entlang Autobahnen oder über Gleisanlagen bebaut würden. Das Problem: Auch Photovoltaikanlagen sind durchaus belastend für die Natur. «Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen belasten die Landschaft und unberührte Lebensräume von Pflanzen und Tieren. Dieser Lebensraum ist in Graubünden bereits jetzt durch viele verschiedene Nutzungen stark unter Druck. Wir haben neben dem Klimawandel auch einen Biodiversitätsverlust, welcher gestoppt werden muss», sagt Lenz.

«Flut» von Anträgen erwartet

Tatsächlich können Interessierte nicht einfach bauen, wo sie wollen. Für den Bau einer Photovoltaikanlage im Hochgebirge ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig, wie Richard Atzmüller, Leiter Amt für Raumentwicklung des Kanton Graubünden, erklärt. Wie er weiter ausführt, sei im Kanton ein grosses Interesse am Förderprogramm spürbar.

Erste Projekte sind etwa in Sedrun und Scuol bereits angelaufen. In Sedrun plant die Axpo ein Solarkraftwerk auf der Fläche von zwölf Fussballfeldern. Sie soll neben der Staumauer des Stausees Lai da Nalps zu liegen kommen. In Scuol planen die Engadiner Kraftwerke beim Skigebiet Motta Naluns ein 36 Hektaren grosses Solarkraftwerk.

Atzmüller geht davon aus, dass im kommenden Herbst eine «Flut» von Anträgen hereinbrechen wird. «Ich vermute, dass viele Investoren im Sommer, wenn der Schnee weg ist, in die Berge gehen, um zu schauen, wo sich ein Kraftwerk realisieren liesse und wo dies umweltverträglich möglich ist.»

Noch ist das Förderprogramm in der Vernehmlassung. Der endgültige Erlass steht noch aus. Kommenden Herbst sollten dann alle Fragen beantwortet sein und dann dürfte sich auch abzeichnen, wo in den Bünder Bergen der «Solarexpress» hält.

veröffentlicht: 27. Januar 2023 05:48
aktualisiert: 27. Januar 2023 07:57
Quelle: FM1Today

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