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Graubünden

Stadt «extrem besorgt»: Churer Drogenabhängige bekommen Konsumraum

Sommer 2024

Stadt «extrem besorgt»: Churer Drogenabhängige bekommen Konsumraum

05.10.2023, 17:19 Uhr
· Online seit 05.10.2023, 11:51 Uhr
Die Süchtigen der offenen Drogenszene in Chur erhalten ab dem Sommer 2024 einen Konsumraum mit Kontakt- und Anlaufstelle an der Sägenstrasse 75. Damit beginnt eine dreijährige Pilotphase. Die Stadt schaut derweil «extrem besorgt» auf die Drogenszene.

Quelle: FM1Today/Céline Stieger/Marija Lepir

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Bis im Sommer war an der Liegenschaft an der Sägenstrasse ein Kulturhaus untergebracht. Diesem Mieter wurde bereits auf Ende September 2023 gekündigt. Die Liegenschaft sei schon geräumt, sagte der Stadtrat Patrik Degiacomi (SP) am Donnerstag vor den Medien in Chur. Für den früheren Betreiber des Hauses, Fabian «Bane» Florin, bekannter Künstler und selbst ehemaliger Süchtiger, sei klar gewesen, dass man für die Bevölkerung etwas tun wolle. Er zeigte sich vor den Medien überzeugt von der Wirkung eines solchen Angebots.

Die Anwohnenden seien bereits informiert worden, so die Behörden. Man habe Angst, Verunsicherung und Wut gespürt. Die Stadtpolizei kündigte derweil eine starke Präsenz im betroffenen Quartier an.

Das 950 Quadratmeter grosse Areal werde eingezäunt und bewacht. Neben dem bestehenden Gebäude werden acht Container für einen Konsumraum und 17 weitere für die Kontakt- und Anlaufstelle aufgestellt. Diese wird durch den Kanton Graubünden finanziert. Den Konsumraum bezahlt die Stadt. «Die dafür gesprochene Million Franken für die dreijährige Pilotphase wird nicht ausreichen», liess Degiacomi bereits durchblicken. Es wird erwägt, die Phase zu verkürzen oder einen Zusatzkredit zu beantragen.

Besorgniserregende Situation

Die Sitatuation der offenen Szene in Chur sei besorgniserregend, so Degiacomi weiter. Früher war vorwiegend Heroin konsumiert worden. Heute werde Kokain geraucht oder gespritzt. Dadurch seien die Betroffenen aufgeputschter und aggressiver. Auch die Beschaffungskriminalität habe zugenommen.

Ein Konsumraum mit angegliederter Kontakt- und Anlaufstelle sei deshalb überfällig. «Chur ist hier auf halbem Weg stehen geblieben», so Degiacomi weiter. Mit diesem Angebot erhoffen sich die Behörden eine starke Eindämmung der Szene im öffentlichen Raum.

Wurden im August 2022 noch zehn Spritzen pro Woche gefunden, waren es ein Jahr später bereits 90. Auch die Zahl der Obdachlosen in der Stadt verdreifachte sich seit Januar 2022. Im August dieses Jahres waren es knapp über 40 Personen ohne festen Wohnsitz in der Kantonshauptstadt.

Das Schweizer Konzept mit Konsumraum und Anlaufstelle funktioniere und werde bereits international kopiert, sagte etwa die Suchtbeauftragte der Stadt Bern Julia Joos. «Wir haben Uhren und Schokolade - und wir haben Kontakt- und Anlaufstellen.»

Dabei gehe es nicht darum, Jugendlichen einen Platz für Drogenexperimente zu geben. Der Zutritt ist streng geregelt. Rein darf nur wer volljährig ist, seinen Lebensmittelpunkt in Graubünden hat und sich in einer akuten Suchtphase befindet. Fachpersonal aus der Psychiatrie und der sozialen Arbeit seien während den Öffnungszeiten, sieben Tage die Woche, von mittags bis abends immer anwesend.

Handlungsbedarf auch in anderen Städten

Auch andere Schweizer Städte reagieren auf die immer grösser werdenden Szenen. Die Stadt Zürich kündigte Ende September an, bereits Mitte November auf dem Kasernenareal eine provisorische Anlaufstelle für Süchtige einzurichten. Ab 2030 soll es eine permanente Einrichtung geben.

Zuvor entschied das Stadtparlament, die offene Szene in der Bäckeranlage nicht zu räumen. Dies hatte die SVP gefordert, um «einen zweiten Platzspitz zu verhindern».

In Genf nimmt das Fixerstübli «Quai 9» derzeit keine Crack-Konsumierenden mehr auf. Laut der Organisation Sucht Schweiz muss man wegen neuer Drogenarten auch neue Handlungsweisen entwickeln. Mit der Ankunft von konsumfertigen «Crack-Steinen» in Genf vor zwei Jahren wurde die relative Stabilität der Drogenlandschaft und der Konsummuster in diesem Kanton gebrochen, wie Sucht-Schweiz-Vizedirektor Frank Zobel der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor wenigen Tagen sagte.

Im Mai hatte der Kanton Genf mitgeteilt, dass sich die Zahl der Crack-Konsumierenden in der Kantonshauptstadt innert eines Jahres verdoppelt habe. Laut Zobel geht das auf die vermehrte Präsenz von Verkäufern zurück, die kleine Dosen zu Preisen schon ab 10 Franken verkaufen. Sie kämen häufig aus dem Senegal und seien schon in französischen Städten aktiv gewesen.

(sda/red.)

veröffentlicht: 5. Oktober 2023 11:51
aktualisiert: 5. Oktober 2023 17:19
Quelle: FM1Today

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