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VCS zu Kommissions-Ergänzungen: «Das sind komplette Fehlentscheide»

Verkehr

VCS zu Kommissions-Ergänzungen: «Das sind komplette Fehlentscheide»

· Online seit 07.09.2023, 05:56 Uhr
Die vorberatende Kommission des St.Galler Kantonsrat will kein Tempo 30 in der Stadt St.Gallen, dafür beim Autobahnanschluss Güterbahnhof aufs Gas drücken. Beim Verkehrsclub Schweiz (VCS) hat man für diese Forderungen gar kein Verständnis.
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In der Septembersession wird im Kantonsrat über die verkehrlichen Entwicklungen zwischen 2024 und 2028 beraten. Am Mittwoch hat die vorberatende Kommission ihre Ergänzungen für das Strassenbauprogramm präsentiert. Unter anderem soll es kein Tempo-30-Regime geben und der Autobahnanschluss beim Güterbahnhof soll als dringlich eingestuft werden.

Beim VCS hat man kein Verständnis für die Ergänzungen. Ruedi Blumer, Präsident des VCS und ehemaliger St.Galler Kantonsrat, ist Red und Antwort gestanden.

Herr Blumer, was hält der VCS von den Ergänzungen der Kommission?

Ruedi Blumer: Für uns sind das komplette Fehlentscheide. Es zeigt, dass die Mehrheit der Kommission die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und in der Strasseneuphorie des vergangenen Jahrtausends verharrt. Aus unserer Sicht sind solche Forderungen nicht mehr zeitgemäss.

Warum?

Es handelt sich um riesige Bauwerke, die eine jahrelange Bauphase mit viel Beton, CO2-Emissionen, Lärm und Baustellenverkehr benötigen, und schlussendlich keine Verbesserung bringen. Es ist ja längstens erwiesen, dass zusätzliche Strassen zusätzlichen Verkehr mit sich bringen. Vor allem für die Stadt ist dieser Ansatz falsch.

Warum funktioniert dieser Ansatz auf städtischem Gebiet nicht?

In den Städten haben wir bereits grosse CO2-, Lärm- und Platzprobleme. Wir müssen es schaffen, dass in der Stadt weniger mit Auto gefahren wird, sondern mehr auf ÖV, Velo- und Fussverkehr gesetzt wird.  Mehr Strassen würden nur mehr Blech in die Stadt spülen.

Sie haben das Platzproblem angesprochen. Die Kommission will das Lärmproblem mit raumplanerischen Massnahmen bekämpfen. Steht das nicht im Widerspruch zueinander?

Eine raumplanerische  Massnahme wäre eben genau, dass man keine zusätzlichen Strassen baut, sondern Asphalt wieder zu Grünfläche umwandelt oder für den Velo- und Fussverkehr umnutzt. In der Stadt haben immer weniger Personen ein Auto. Der Bedarf für mehr Autos kommt von ausserhalb der Stadt, nicht von innen.

Diktiert also die konservativere Landbevölkerung der Stadt die Gangart?

Definitiv, wir befinden uns in einem Machtspiel. Die Stadt hat erkannt, dass mehr Strassen mehr Probleme bedeuten. Die ländliche Mehrheit in der Kommission will nun der Stadt etwas aufs Auge drücken, dass für sie schlecht ist. Schlecht und sogar gesetzeswidrig ist auch, dass die Kommission Tempo 30 auf Kantonsstrassen und Gemeindestrassen 1. Klasse verbieten will.

Kommissionspräsident Walter Gartmann sagt aber, dass dies kein Seitenhieb an die Stadt sei.

Das ist ein ganz klarer Seitenhieb Richtung Stadt. Herr Gartmann wohnt im Sarganserland und hat keine Ahnung von den städtischen Begebenheiten. Er darf der Meinung sein, dass Tempo 30 schlecht ist. Schade ist nur, dass eine Mehrheit so ewiggestrig denkt wie er.

Also hat die städtische Bevölkerung keine Chance?

So würde ich das nicht sagen. Beim Güterbahnhof handelt es sich ja um ein Bundesprojekt. Und es ist noch nie vorgekommen, dass der Bund ein Strassenprojekt umsetzt, das von der dortigen Bevölkerung abgelehnt wurde, obwohl er die Kompetenz dazu hätte. Darauf setzte ich hier.

All das klingt jetzt so, als wäre der Kanton St.Gallen zu konservativ. Haben sie denn eine Empfehlung an den Kantonsrat?

Ja. Es würde sich lohnen, mal über den Tellerrand zu schauen. Beispielsweise im Thurgau, der wie St.Gallen eher konservativ geprägt ist, wird in etwa sieben kleineren Städten, darunter Frauenfeld, Tempo 30 eingeführt – auch auf den verkehrsorientierten Strassen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man sich gegen so viele Vorteile, die Tempo 30 mit sich bringt, wehren kann.

Von welchen Vorteilen sprechen Sie konkret?

Die CO2-Emissionen sind geringer, die Lärmbelastung für die Anwohner ist kleiner, es gibt weniger Stau und die Verkehrssicherheit insbesondere für Kinder wird dadurch erhöht. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Geschwindigkeitsdifferenz zum Velo geringer wird, was auch ein Anreiz für den Umstieg auf den Drahtesel sein kann. Dadurch gibt es wieder weniger Autos und mehr Platz.

Sie glauben also daran, dass in St.Gallen die Temporeduktion in Zukunft umgesetzt wird?

Ja, es ist die einzige zielführende Lösung. Dies wurde bereits genug oft bewiesen. Dass sich hier nun die bürgerliche Kommissionsmehrheit gegen den Fortschritt vehement wehrt, finde ich bedauerlich. Aber die Zeit wird uns in die Karten spielen, denn die Sichtweise, alles aufs Auto auszurichten, ist definitiv veraltet, klimafeindlich und raumplanerisch falsch.

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veröffentlicht: 7. September 2023 05:56
aktualisiert: 7. September 2023 05:56
Quelle: FM1Today

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