Es ist sieben Uhr morgens, Christine Schneeberger bereitet sich auf ihre Frühschicht vor. Sie ist Pflegerin im ersten Solothurner Sterbehospiz in Derendingen. Sie führt durch den Eingang, die Treppe hinauf in den Teamraum. Überall im Eingang brennen Kerzen. Sie stehen für das ewige Leben nach dem Tod.
Zu Beginn der Schicht steht der Nachtrapport an. Schneebergers Teamkollegin hatte Nachtwache und übergibt ihr nun den Dienst. Dieser Rapport dient den Pflegerinnen zur Lagebesprechung im Haus und der einzelnen Patienten. Danach werden die Medikamente der einzelnen Patientinnen und Patienten kontrolliert. Nebenzu bereitet Schneeberger die Medikamenten-Rationen für den morgendlichen Rundgang durchs Haus vor. Hierzu mörsert sie Pillen und füllt Spritzen auf:
Die Angst vor dem Sterben nehmen
Dann macht sich Christine Schneeberger auf den morgendlichen Rundgang. Herr Zwichel* ist der erste Patient auf der Liste.
Die Pflegerin betritt sein Zimmer und fragt den Patienten, wie es ihm gehe. Während sich der Patient mit ihrer Hilfe aufrichtet, antwortet er: «Mir geht es ganz gut, ich habe von herumfliegenden Elfen und Feen geträumt.» Er zwinkert in ihre Richtung.
Aufgrund seiner angeschwollenen Schenkel und weil Zwichel sie kaum noch spüren kann, ist es für ihn schwer, aufzustehen. Schneeberger hilft ihm auf die Beine und erklärt ihm währenddessen: «In Ihren Beinen hat sich Wasser angesammelt, weil ihre Nieren nicht mehr gut funktionieren.» Dazu muss sie den Patienten beinahe anschreien – er hört sehr schlecht. Der Pflegerin ist es wichtig, den Patienten genau zu erklären, was mit ihren Körpern passiert. «Das hilft, ihnen die Sterbeangst zu nehmen», erklärt sie. Herr Zwichel ist multimorbid.
Nach dem Frühstück wird Zwichel auf die Veranda gebracht. Hier sitzt er, geniesst die Aussicht auf den Garten – und raucht. Zwichel ist Kettenraucher. Er ist erst seit zwei Tagen im Hospiz. Der Patient nimmt die Situation eher locker. «Man darf nur nicht zu viel darüber nachdenken», sagt er.
Herr Zwichel wird wieder zurück in sein Zimmer gebracht und Pflegerin Christine Schneeberger hat kurz eine Pause.
Wo Patienten ihre letzte Reise antreten
Doch da piepst es plötzlich aus dem Lautsprecher. Eine Patientin ruft um Hilfe. Christine Schneeberger, Pflegerin im Hospiz Solothurn, reagiert sogleich, springt von ihrem Stuhl auf und begibt sich schnurstracks in den untersten Stock. Hier in einem Zimmer liegt Frau Reinmann*. Die Pflegerin öffnet die Tür, ein Geruch von Salben weht einem entgegen.
Frau Reinmann hat Gebärmutterkrebs und liegt im Sterben. Gegenüber der Pflegerin klagt sie über Schmerzen und ein Druckgefühl im Unterleib. Christine Schneeberger hat das passende Medikament parat: Morphin. Mit Fingerspitzengefühl setzt sie der Patientin eine Spritze und verabreicht ihr das Schmerzmittel. Das Medikament wirkt, die Patientin ist nun ruhiger.
Frau Reinmann liegt da, die Augen sind nur halb geöffnet. «Wann darf ich endlich sterben?», fragt sie Schneeberger. Die Pflegerin nimmt ihre Hand und antwortet beruhigend: «Bald, da bin ich mir ganz sicher.» Wie alle Patientinnen und Patienten im Hospiz ist auch Frau Reinmann hier, um zu sterben. Oder wie die Pflegerinnen sagen: «Sie ist hier, um ihre letzte Reise anzutreten.»
Selbstbestimmtes Leben bis zum Schluss
Im Halbschlaf erzählt Frau Reinmann, dass sie ein schönes Leben gehabt habe: «Ich war sehr aktiv und habe viel erlebt. Mein Lebenspartner kümmert sich sehr liebevoll um mich.» Nun sei aber ihre Zeit gekommen. Sobald Schneeberger sicher ist, dass die Patientin wieder schläft, geht sie hinaus in den Flur, zieht die Tür zu und sagt: «Frau Reinmann wird bald sterben.»
*Alle Namen der Patienten sind der Redaktion bekannt und wurden abgeändert. Die erwähnten Patienten sind mittlerweile verstorben.
Teil 2 der Reportage: Eine Helferin durch und durch
Teil 3 der Reportage: Dieser Seelsorger ist stets für die Patienten da
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