Folgt man dem Wortlaut der Ausschreibung, so sollen Besucherinnen und Besucher von Bahnhöfen sowie deren Aktivitäten künftig einzeln erfasst und verfolgt werden. Dabei gehe es den SBB besonders um das Einkaufverhalten. Das Unternehmen wolle nämlich herausfinden, welche Läden Reisende besuchen und wie viel Geld sie dort ausgeben. Ziel sei es, den Umsatz mit den Bahnhofsgeschäften zu erhöhen, wie die Zeitschrift «K-Tipp» berichtete.
Vollständige Anonymisierung ist möglich, aber schwierig
Die SBB versprechen, die vom neuen System erfassten Daten würden anonymisiert. Doch in der Ausschreibung wird vom Betreiber der Kameras explizit eine «eindeutige Identifikation der Person während des gesamten Aufenthalts im Bahnhof» verlangt. Ist das mit dem Datenschutz vereinbar?
«Die Frage ist immer, in welchem Umfang Personendaten bearbeitet werden», sagt dazu der auf das Datenschutzrecht spezialisierte Anwalt Martin Steiger. «Ich verstehe das Vorhaben so, dass die SBB einzelne Personen durch Bahnhöfe verfolgen können möchten, sich aber erst einmal nicht dafür interessieren, wer diese Personen im Einzelnen sind.»
So könnten die Daten ab einem gewissen Punkt tatsächlich anonymisiert werden. Damit würden die SBB den datenschutzrechtlichen Grundsatz einhalten, dass nur die erforderlichen Daten bearbeitet werden dürfen. «Anonym wäre das Ganze aber nicht», betont Steiger, «sondern bis zur Anonymisierung würden Personendaten bearbeitet». Auch könne es anspruchsvoll sein, die Daten tatsächlich vollständig zu anonymisieren.
Schweizer Datenschutz gibt den SBB Spielraum
Das liberale schweizerische Datenschutzrecht gebe den Bundesbahnen hier einigen Spielraum, so Steiger weiter. «Spannend ist die Frage, wie die SBB mit Personen umgehen, welche der Erfassung widersprechen. Allenfalls wird diese Frage auf dem Rechtsweg entschieden werden müssen.» Mit dem neuen Datenschutzgesetz ab dem 1. September 2023 erhalten betroffene Personen mehr Möglichkeiten, ihren Datenschutz durchzusetzen.
Grundsätzlich sieht Martin Steiger das ganze Projekt kritisch: «Man muss sich fragen, ob es erforderlich ist, dass die SBB als Bundesbetrieb und Eisenbahn für alle Menschen in der Schweiz solche Daten-basierten Geschäftsmodelle nutzen.» Politisch scheine es bislang gewollt zu sein, dass die SBB sich nicht auf ihr Kerngeschäft beschränkten, sondern insbesondere mit Immobilien und Einkaufsmöglichkeiten zusätzliche Einnahmen generierten.
Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter distanziert sich vom K-Tipp
Im K-Tipp kommt auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDÖB) Adrian Lobsiger zu Wort. Er habe erst durch den Artikel von den Plänen der SBB erfahren, heisst es dort. Lobsiger verlange nun von der Bahn ein Datenschutzkonzept. Aufgrund der «Vielzahl der erhobenen Daten und des Risikos einer Re-Identifikation von Personen» bestehe ein «erhebliches Risiko für die Persönlichkeit der Passanten».
Mittlerweile hat sich Adrian Lobsiger in einer gemeinsamen Erklärung mit den SBB von dieser Aussage distanziert. Es stimme nicht, dass der EDÖB erst durch den K-Tipp auf das Projekt aufmerksam wurde, man stehe schon lange in Kontakt. Ausserdem werde nichts beschafft oder eingesetzt, das nicht datenschutzkonform sei. Auch eine Verknüpfung mit SwissPass oder Mobile-Apps sei nicht geplant. Die SBB versprechen, sämtlichen Forderungen des Datenschutzbeauftragten vor Einführung des neuen Systems nachzukommen.
Um dieses Versprechen einzulösen, sollte das verwendete System von Anfang an möglichst datensparsam ausgestaltet werden, empfiehlt Datenschutz-Anwalt Martin Steiger. Gleichzeitig müsse vollständige Transparenz hergestellt werden, damit die Nutzerinnen und Nutzer von Bahnhöfen wissen, wie sie von den Kameras erfasst werden und was mit diesen Daten geschieht. Nur so könnten sich betroffene Personen bei Bedarf zur Wehr setzen. Zentral hierbei: Reisende hätten bei den SBB häufig keine Wahl. Viele müssten die SBB und ihre Bahnhöfe wohl oder übel nutzen.
«Smart Citys», digitalisierte Verwaltung, nachhaltige Energie, zukunftsorientierte Lösungen im ÖV. Dies sind einige der Kernthemen der Digitalisierung. Es gibt aber auch heikle Themen, vor allem wenn es um den Datenschutz geht. Anlässlich der Berner Digitaltage diskutierte TV-Mann Markus von Känel mit SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen, Mitte-Nationalrat Lorenz Hess und Regierungsrat Pierre Alain Schnegg über Chancen und Risiken:
Quelle: TeleBärn