Schweiz

Student klagt über Einsamkeit – und trifft einen Nerv

Keine Freunde

Student klagt über Einsamkeit – und trifft einen Nerv

13.09.2022, 07:16 Uhr
· Online seit 12.09.2022, 20:27 Uhr
Aladin B. studiert im fünften Semester an der Universität Zürich. Seit Studienbeginn habe er nur zwei Kollegen gefunden, so der 24-Jährige. Anderen jungen Menschen spricht er damit aus der Seele.

Quelle: CH Media Video Unit / Tiktok

Anzeige

In einer Woche startet das Herbstsemester an den Hochschulen – doch auf ein Wiedersehen mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen können sich viele Studenten nicht freuen.

«Ich begann in der Coronazeit mit dem Studium und musste das Meiste von zu Hause aus machen. Darum lernte ich fast niemanden vom Studiengang kennen», erzählte Student Aladin B. kürzlich in einem Video auf Tiktok. Dazu komme, dass man die alten Kollegen aus dem Gymnasium langsam aus den Augen verliere. Deswegen wollte er bei seinen Followern den Puls fühlen und fragen, ob es ihnen gleich gehe.

Mit dem Video traf Aladin B.* einen Nerv. Es wurde über 500 Mal geliket und generierte über 200 Kommentare. Einige User antworten mit «Nope, niemand», «zero» oder «Han au kei Kollege». Eine Userin namens «Inkd 32» schreibt: «Du redsch mer us de Seel. I bi ellei.»

«Ich sah sie kaum»

Aladin B. studiert an der Universität Zürich im fünften Semester Banking and Finance. Freunde finde man in den ersten Wochen an den Hochschulen, ist der Student überzeugt. Da er das Studium in der Pandemie gestartet habe, sei ihm diese Gelegenheit entgangen.

Ernüchtert stellt der 24-Jährige gegenüber der Today-Zentralredaktion fest: «Seit ich an der Uni studiere, habe ich nur zwei Kollegen gefunden.» Kennengelernt hätten sie sich in einer Online-Lerngruppe, die ihr Professor im ersten Semester organisiert habe.

Doch selbst diese beiden Kollegen sehe er im Uni-Alltag nur selten. «Als ich das letzte Semester Vorlesungen etwas öfter vor Ort besuchte, sah ich sie – wie auch viele andere Kommilitoninnen und Kommilitonen – kaum.» Viele Studierende besuchten die Uni nur sporadisch, da sämtliche Vorlesungen und Seminare auch online übertragen würden. «Zudem haben einige Studenten in der Pandemie ihre WGs aufgelöst, sodass sie bei ihren Eltern in einem anderen Kanton wohnen und deshalb sowieso zu weit von der Uni entfernt wohnen.»

Bei Suche gescheitert 

In seiner Einsamkeit blies Aladin B. aber nicht nur Trübsal. Aktiv versuchte er, Freundschaften zu knüpfen. Zuerst habe er die alten Gymi-Kollegen kontaktiert. Diese seien aber schnell wieder eingeschlafen. «Am Schluss war immer ich derjenige, der die Initiative ergreifen musste.»

Ähnlich enttäuschend entwickelte sich die Tennisgruppe, die er an der Uni startete. «Als ich rumfragte, wer Tennis spielen kommen wolle, sagten anfangs immer alle ‹ja voll›, dabei war dann aber eigentlich schnell niemand mehr.»

Online-Vorlesungen abschaffen?

Online-Vorlesungen gehören an den Hochschulen seit der Pandemie fix zum Angebot. An der Universität Zürich etwa sind über 55 Hörsäle und Seminarräume für Livestreaming ausgerüstet, an der Universität Bern sind es über 40 Hörsäle.

Dem Streaming will Aladin B. zugunsten von mehr sozialen Kontakten aber nicht den Riegel schieben. «Auch ich schätze es, wenn ich frei einteilen kann, wann ich welche Vorlesung besuche.» Stattdessen schlägt er vor, dass die Fachschaften der Unis regelmässige Veranstaltungen durchführen. «Dann würde man sich innerhalb des Studiengangs automatisch kennenlernen.»

«Verbringen weniger Zeit miteinander»

Dem Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) ist bekannt, dass Studierende an den Hochschulen mit Einsamkeit kämpfen. Durch die Pandemie habe sich dieses Problem verstärkt, sagt Seraina Campell, Co-Präsidentin des VSS. «Für Studierende, die sich mit dem Beginn des Studiums an einem komplett neuen Ort befinden, ist es umso schwieriger, wenn sie kaum soziale Kontakte knüpfen können.»

Studierende mit weniger dichten Stundenplänen und mehr Flexibilität in der Fächerwahl haben laut Campell vielleicht eher mit Einsamkeit zu kämpfen. «Da sie ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen weniger sehen und nicht so viel Zeit gemeinsam verbringen.» Dies treffe zum Beispiel auf die Geisteswissenschaften zu.

Positive Erfahrung

Die Co-Präsidentin würde es befürworten, wenn einige Fakultäten zumindest am Anfang des Studiums regelmässige Kennenlern-Veranstaltungen durchführen würden. «Zudem wollen wir erheben, inwiefern Studierende unter Einsamkeit leiden.» Mittels Datengrundlage könnten auch bedarfsgerechte präventive Angebote ins Auge gefasst werden.

Trotz der schwierigen Suche nach Freunden an der Uni, hat Student Aladin B. kürzlich erfahren, wie einfach es sein kann, Freunde zu finden. Gerade verbringt er seine Ferien in Marokko. Sein Cousin habe ihn zu einem Treffen im Freibad mit Kollegen mitgenommen, so der Schweiz-Marokkaner. «Diese schlossen mich sofort ein. Als ich zu Hause war, hatte ich das Gefühl, richtige Freunde gefunden zu haben.»

*Name der Redaktion bekannt.

veröffentlicht: 12. September 2022 20:27
aktualisiert: 13. September 2022 07:16
Quelle: Today-Zentralredaktion

Anzeige
Anzeige
[email protected]