Unabhängig vom Wetter auf der Karte – bei Meteorologinnen und Meteorologen herrscht zurzeit alles andere als eitel Sonnenschein. Mitten im Wahlkampf ist beinahe jede Wetterprognose- und Temperaturangabe zum Politikum geworden.
Linke Politiker sehen in den heissen Temperaturen und Unwettern einen Beweis dafür, dass Klimaschutz dringend nötig ist. Für Politiker der SVP belegt dagegen jeder Temperatursturz oder Regenfall im Sommer eine Klimahysterie in der Schweiz. Zu einem Foto, das ihn komplett verregnet zeigt, schrieb SVP-Nationalrat Christian Imark auf Twitter: «Man sollte insbesondere SRF-Meteo die TV-Gelder kürzen, wegen der ständigen Fehlprognosen.»
Man sollte insbesondere @srfmeteo die TV-Gelder kürzen, wegen der ständigen Fehlprognosen…@SRF @Weltwoche @Kachelmannwettr @Kachelmann pic.twitter.com/CiTZPgL7GH
— Christian Imark (@ChristianImark) August 12, 2023
Wenige Tage zuvor kam es bei «SRF-Meteo» zu einer ungewöhnlichen Premiere: Der langjährige Meteorologe Thomas Bucheli entschuldigte sich in der Sendung, zu hohe Temperaturen angegeben zu haben.
«Fettnäpfchen droht»
Die beiden Pole haben auch Folgen für den Smalltalk. Das Thema Wetter ist bei den beiläufigen Alltagsgesprächen plötzlich zu einer heiklen Angelegenheit geworden. «Der Wetter-Smalltalk ist heute nicht mehr so unverfänglich wie noch vor ein paar Monaten», bestätigt Katrin Künzle gegenüber der Today-Redaktion. Sie ist Geschäftsführerin der Künzle Organisation, die Knigge-Kurse anbietet.
«Freut man sich zum Beispiel darüber, dass es auch in der Schweiz immer wärmer wird, droht man ins Fettnäpfchen zu treten», sagt Künzle. Es bestehe das Risiko, dass das Gegenüber darauf die Klimadiskussion aufgreift und es zu Meinungsverschiedenheiten komme. «Smalltalk ist etwas, das allen Freude bereitet – ernste Themen sind dabei fehl am Platz.»
«Kann Ängste auslösen»
Inzwischen sind viele Menschen aus den Ferien im Ausland zurückgekehrt. Katrin Künzle rät grundsätzlich davon ab, erlebte Waldbrände oder extreme Hitze im Wetter-Smalltalk zu erwähnen. «Das kann nicht nur Klima-Diskussionen, sondern beim Gegenüber auch Ängste auslösen.» Wer nach den Ferien gefragt werde und klimatisch extreme Bedingungen erlebt habe, solle kurz angebunden sein. Eine passende Antwort sei dann zum Beispiel: «Ich habe erlebt, was viele Touristen erlebt haben.»
Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.
Gänzlich sollen Gesprächspartnerinnen und -partner das Wetter-Thema beim Smalltalk aber nicht umschiffen. Künzle empfiehlt, dieses Gesprächsthema vorsichtig anzuschneiden und sich heranzutasten. «Wenn man etwa sieht, dass das Gegenüber die Augen zusammenkneift oder sich zurückzuziehen beginnt, sollte man das Thema besser sofort wechseln.»
«Wetter ist ein Minenfeld geworden»
Kommunikationsexperte Stefan Häseli macht ähnliche Beobachtungen. «Noch vor kurzer Zeit war das Wetter das Smalltalk-Thema schlichtweg.», sagt er. Damals habe der Grundsatz geherrscht, dass niemand das Wetter beeinflussen könne und es daher sowieso stattfinde. «Heute ist das Wetter ein Minenfeld geworden, weil es schnell in eine Klima-Diskussion führt.»
Bereits aus der Aussage «Heute ist es wieder heiss» kann laut Häseli Konfliktstoff und unter Umständen eine gehässige Diskussion entstehen. Antworte das Gegenüber etwa «Solange wir Autofahren, wird das der Fall sein» oder «Die nächste Eiszeit kommt bestimmt», sei der Smalltalk nur geglückt, wenn die andere Person zustimme.
Smalltalk über Kaffeevielfalt als Alternative
Häseli empfiehlt, beim Wetter-Thema gleich vorzugehen wie beim Thema Impfen, das in der Pandemie besonders umstritten war. «Indem man klar sagt, dass man jetzt nicht über das Klima reden möchte und man ja schliesslich nicht deswegen zusammengekommen sei.»
Wer mit dem Wegfall des neuerdings heiklen Wetter-Themas befürchtet, bei Smalltalks im Geschäftsbereich aufgeschmissen zu sein, muss sich keine Sorgen machen. «Anstelle des Wetters kann man alles andere, was in der unmittelbaren Wahrnehmung positiv auffällt, als Anlass für den Smalltalk nehmen», sagt Stefan Häseli. Als Beispiel nennt er bei einem Businesstreffen den Anfahrtsweg, die Ausstattung im Büro und die Kaffeevielfalt. «Leute, denen das Wetter als Thema zu profan ist, stiegen schon immer mit diesen Themen ein.»